Einführung

Bedeutung und Relevanz des FDM für Forschende

Die Ausführungen auf dieser Seite und im gesamte Bereich zu Forschungsdatenmanagement geben die persönliche Sicht ihres Autors wider, die sich aus bald 20 Jahren eigener Forschungserfahrung sowie mittlerweile der Erfahrung mit institutionellem Forschungsdatenmanagement entwickelt hat. Manches ist pointiert formuliert – nicht um zu verletzen, sondern um zum Nachdenken anzuregen. Wissenschaft lebt von der kritischen Auseinandersetzung mit Ideen, und gleiches trifft auf die Art und Weise, wie wir Wissenschaft und Forschung betreiben, zu – und damit auch auf das Forschungsdatenmanagement als einer notwendigen, aber nicht hinreichenden Bedingung für wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn.

Was ist Forschungsdatenmanagement?

Forschungsdatenmanagement (FDM) ist „alter Wein in neuen Schläuchen“ – wir haben über die Digitalisierung (und den massiven Zuwachs an Forschenden) nur verlernt, ordentlich und vernünftig mit unseren Daten umzugehen.1) Letztlich ist FDM nichts anderes als die Praxis sauberer, ernsthafter Wissenschaft. Wer kein FDM betreibt, betreibt auch keine Wissenschaft. Andererseits betreiben viele Forschende FDM, ohne jemals das Wort gehört zu haben oder großes Aufhebens darum zu machen.

Das Problem an der Worthülse „Forschungsdatenmanagement“ ist, dass sie mitunter den Blick auf das Wesentliche verstellt: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ – Datenmanagementpläne, elektronische Laborbücher, Laborinformations- und Managementsysteme helfen alle nichts, wenn die einzelnen Forschenden nicht verstehen, was Wissenschaft in ihrem Kern ausmacht, und keine Motivation haben, alles zu tun, um saubere wissenschaftliche Arbeit zu leisten.2) Zu einem Verständnis des Wesens der Wissenschaft gehört auch ein Verständnis und eine intellektuelle Durchdringung der im jeweiligen Kontext dafür notwendigen Prozesse.

Auf der anderen Seite kann eine gewisse Institutionalisierung und Formalisierung des FDM dabei helfen, den Kern der Wissenschaft und die Praxis sauberer Wissenschaft wieder ins Bewusstsein zu holen. Ziel sollte es sein, bei den einzelnen Forschenden das Bewusstsein dafür (neu) zu wecken, was Wissenschaft und sauberes wissenschaftliches Arbeiten ausmacht. Die einzelnen Werkzeuge, um diesem Ziel näher zu kommen, werden fast nie große, komplexe Systeme sein, sondern einzelne Werkzeuge, die sich modular einsetzen und untereinander verknüpfen lassen.

Warum Forschungsdatenmanagement?

Die kurze Antwort: Um der Wissenschaft willen! Ohne im Detail darauf einzugehen, was genau Wissenschaft ist, sollen hier zwei Aspekte herausgestellt werden, die sich aus dem einleitenden Newton-Zitat3) direkt ableiten lassen:

  1. Wissenschaft ist unabhängig von der jeweils forschenden Person, d.h. die Ergebnisse müssen auch unabhängig von dieser Person verständlich und zugänglich sein.
  2. Wissenschaft ist ein kollektives Unterfangen über die Grenzen von Raum und Zeit hinweg: Sie baut immer auf den Vorarbeiten anderer auf und liefert selbst die Grundlage für die künftigen Forschenden.

Daraus ergibt sich, dass Forschende eine (doppelte) Verantwortung haben:

Ziel jeglichen Forschungsdatenmanagements ist die Verbesserung der Nachvollziehbarkeit und Reproduzierbarkeit und damit der Wissenschaftlichkeit. Ein weiteres Ziel darüber hinaus ist die Nachnutzung der Forschungsergebnisse. All das ist in Newtons Zitat zusammengefasst.

Die Gefahr, dass FDM zu einem (unnötigen) Mehraufwand an Verwaltung führt, ist groß. Darüber hinaus werden Forschende jegliche formalen Ansprüche von außen schnell als Eingriff in ihre Freiheit verstehen.6) Entsprechend muss FDM immer motiviert werden: Was nützt mir als einzelner forschender Person FDM im hier und jetzt? Was kann ich hier und jetzt (ohne großen Aufwand) tun, um mir das Leben einfacher zu machen und der guten wissenschaftlichen Praxis näher zu kommen?

Nur ein System, das sich einfach nutzen lässt und unmittelbar einsichtige persönliche Vorteile liefert, wird auch genutzt werden.

Aspekte von FDM: Forschungsdatenlebenszyklus

Viele Aspekte von FDM lassen sich anhand des Forschungsdatenlebenszyklus beschreiben. Für Details vgl. die separate Seite zum Forschungsdatenlebenszyklus. Das FDM fokussiert auf die Handhabung von Daten im weiten Sinn, also inkl. der für die Datenhandhabung entwickelten Werkzeuge wie Software, Bibliographien, etc. Es umfasst dabei alle Aspekte von der Planung über die Datenerhebung und -Verarbeitung bis zur Speicherung (und perspektivisch auch der Archivierung) sowie der Nachnutzung und Wiederverwertung.

Umsetzung

Leitfrage: Was kann wer wie im Hier und Jetzt tun, um zu einer Verbesserung der Wissenschaftlichkeit beizutragen?

Letztlich sollte das Ziel jeglichen FDMs immer sein, die Nachvollziehbarkeit und Reproduzierbarkeit und damit die Wissenschaftlichkeit zu fördern, und das möglichst unter Minimierung des zusätzlichen Aufwandes und der Einschränkung der persönlichen Freiheit der Forschenden.

Damit FDM umgesetzt wird, ist die Motivation entscheidend: Einerseits muss klar sein, dass FDM eine notwendige Vorbedingung für Wissenschaftlichkeit ist. Andererseits sollte der persönliche Nutzen durch das zukünftige Ich (future-me) nicht vergessen werden. Etablierung und Aufrechterhaltung von Strukturen durch permanenten, geringfügigen Mehraufwand ermöglicht mittel- bis langfristig eine ganz andere Dimension von Produktivität und Erkenntnisgewinn.

Drei Leitlinien für eine realisierbare Umsetzung:

Ein Wort gegen große, zentrale, teure Werkzeuge: Das beste Werkzeug hilft nichts, wenn es nicht genutzt wird. Natürlich erleichtern Werkzeuge, richtig eingesetzt, die Arbeit mitunter immens und ermöglichen überhaupt erst manche Arbeiten. Der korrekte Einsatz von Werkzeugen setzt aber immer auch ihre Beherrschung (durch Erlernen der korrekten Nutzung) voraus.

Gerade in der Wissenschaft sind Werkzeuge immer nur Mittel zum Zweck. Es kommt fast nie auf die Existenz bestimmter Werkzeuge an, sondern auf die Kreativität und Kompetenz (Wissen, Erfahrung) der Forschenden.

Abhängigkeit von großen, komplexen Werkzeugen, deren längerfristige Existenz – gerade im Lichte der fehlenden Nachhaltigkeit in der aktuellen Forschungslandschaft und -Politik – nicht gesichert ist, schafft häufig zusätzliche Probleme. Offene Formate und modulare, von einzelnen beherrschbare Werkzeuge sind deshalb immer überlegen (Unix-Prinzip vs. Windows – viele verstehen gar nicht, was sie alles nicht machen können, weil sie nie mit der Unix-Kommandozeile gearbeitet haben).

Verantwortlichkeiten für FDM

Wissen/Verständnis, Verantwortung und Macht/Entscheidungsgewalt hängen miteinander zusammen. Wer viel weiß/verstanden hat, hat die Verantwortung, diesem Verständnis entsprechend zu handeln. Wer viel Macht/Entscheidungsgewalt hat, hat viel Verantwortung.

Im Kontext des FDM gibt es unterschiedliche Verantwortlichkeiten, die eng mit dem jeweiligen Wissens-/Verständniskontext zusammenhängen.

Aus Sicht der Forschenden sind das folgende Verantwortlichkeiten:

Darüber hinaus gibt es noch eher institutionelle Verantwortlichkeiten:

Hindernisse für FDM

Welche Hindernisse gibt es auf dem Weg zu mehr FDM?9) Nachfolgend der Versuch einer Übersicht, mit unterschiedlichen Verantwortlichen und unterschiedlichen Höhen der jeweiligen Hindernisse. Die Liste erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit und beruht ausschließlich auf eigener Erfahrung und persönlichen Präferenzen.

1)
Die Lösung für das Problem ist gerade nicht maschinelles Lernen, sondern die konsequente Anwendung von Struktur auf unterster Ebene durch die händische Kuration der Daten im Sinne der Erhebung aller relevanten Metadaten parallel zur und während der eigentlichen Datenerhebung.
2)
Je nach Erfahrung und Position gibt es hier unterschiedliche Verantwortlichkeiten. Aus eigener Erfahrung wird man allen Studierenden von BSc bis erstes Jahr Doktorarbeit vorgeben, wie sie FDM zu machen haben. Gruppenleiter haben die Verantwortung dafür, dass FDM konkret implementiert und gelebt wird. Diejenigen zwischen diesen beiden Positionen sind in der Verantwortung, mit ihrer Erfahrung und ihrem Wissen sinnvolle Strukturen des FDM zu implementieren und für dessen Umsetzung in der täglichen Praxis zu sorgen. Die eigene Erfahrung zeigt aber auch, dass es oft einfacher ist, an Erfahrung junge Forschende für sauberes wissenschaftliches Arbeiten und dessen Voraussetzungen zu motivieren und sensibilisieren.
3)
„If I have seen further, it is by standing on ye shoulders of giants.“
4)
Die Relevanz für die Gesellschaft ist dichotom: Antibiotika und Atombombe. Außerdem bedeutet gesellschaftliche Relevanz in keiner Weise, dass Forschung immer ein klares Ziel (außer der Wissensvermehrung und Erkenntnis) verfolgt. Forschung ist frei und ungebunden und nur so in ihrem Kern möglich. Beispiel mRNA-Impfstoffe: Die Entwicklung war nur deshalb so schnell, weil in den zwei Jahrzehnten davor die Grundlagenforschung stattgefunden hat.
5)
Wissenschaft ist, genauso wie (Hoch-)Kultur, nur in einer arbeitsteiligen Gesellschaft möglich.
6)
Die Frage, für wen wann die grundgesetzlich garantierte „Freiheit der Forschung“ (Art. 5 GG) greift, soll hier nicht weiter thematisiert werden.
7)
kann auch der jeweilige Kontext (Wissensstand, Ressourcen, …) sein
8)
Die Untergliederung in eigenverantwortlich und abhängig Forschende, wie sie hier getroffen wird, hat nichts mit den formalen Kritierien, die der grundgesetzlich verankerten Freiheit der Forschung zugrunde liegen, zu tun. Aus juristischer Sicht werden auch PostDocs i.d.R. noch abhängig forschen.
9)
Wichtig ist, in diesem Kontext zu betonen, dass es um FDM im oben definierten Sinn geht – also nicht um Verwaltungsstrukturen und Formalien, sondern um sauberes wissenschaftliches Arbeiten als Grundvoraussetzung für Wissenschaftlichkeit.